Mein Herz pocht noch vom Laufen, und ich schwitze. Ich verlasse den Waldweg, um mir quer zwischen den Bäumen den kürzesten Weg zum See zu bahnen. Es ist morgens um acht, gerade hell geworden, ein wunderschöner klarer Oktobermorgen. Ich bin der erste Mensch im Wald, wollte vor dem Frühstück joggen. Ich fühle mich lebendig. Mein Körper ist warm, und ich freue mich, gleich am See anzukommen, ganz stolz, dass ich eine Route abseits des Weges gefunden habe.
Ich komme nach ein paar Minuten an eine Stelle, wo der Boden moorig wird, richtig dunkel und feucht, teilweise nass, matschig. Schilf wächst überall zwischen den Bäumen. Teilweise ist das Schilf seitlich nach unten geknickt. Also war schon mal jemand hier. Es hat nicht viel geregnet in den letzten Tagen, daher beschließe ich, weiterzugehen, durchzugehen. Und am Horizont sehe ich den See ja schon. Ich bin in der richtigen Richtung unterwegs.
Da auf einmal trete ich tiefer als gedacht in den dunklen Schlamm und mein Turnschuh versinkt einige Zentimeter ins Wasser. Mein Fuß wird sofort nass. Ich fahre hoch, finde eine halbwegs trockene Stelle zum Auftreten. Weitermachen, Maria. Noch fühlt sich das wie ein Abenteuer an. Ich finde einen Stock, damit versuche ich, das Schilf zu knicken, bevor ich drauftrete. Das verschafft mir einige weitere trockene Meter. Ich fühle einen kleinen Triumph. Siehst du, geht doch.
Doch die Spannung in mir steigt, und selbst mit Stock und meiner neuen Technik komme ich immer mühsamer voran. Immer mehr muss ich den nächsten Schritt bedenken, er bringt Folgeschritte mit sich, ich muss mir das gut überlegen. Den See sehe ich ja schon zwischen den Bäumen. Ich bin so nah dran. Ich versuche, in trockene Stellen zu treten und immer weiter vorwärts zu kommen. Dann, nach einigen Minuten, bricht mein Stock entzwei. Mist. Einen anderen sehe ich nicht. Ich schaue mich um und überlege.
Bis hierhin bin ich gekommen. Ich kenne mich nicht aus mit dem Moor und dem dunklen Matsch und dem Schilf. Ich bin alleine hier. Meine Füße sind nass geworden, und mein Magen knurrt. Ich merke, dass mein Körper langsam abkühlt. Das ist jetzt der falsche Zeitpunkt dafür.
Ich schaue zurück, und sehe: ich bin schon so weit vorgedrungen, dass zurückkehren sich wie Scheitern anfühlt. Der Weg hierhin war mühsam. Ich schaue nach vorne und sehe keine Möglichkeit, halbwegs trocken zum See zu kommen, bekomme Angst, später so richtig festzustecken. Dann ist übel. Es ist kalt und es sind noch nicht so viele Menschen im Wald. Ich fühle mich auf einmal sehr unerfahren.
Hätte ich Regenstiefel an, würde ich einfach weiterlaufen, bis ich angekommen bin. Oder wäre jemand da, der mir sagt, wohin ich treten soll, wäre das alles kein Problem. Ich würde vertrauen. Und ich würde mit den Anweisungen den trockensten Weg zum See finden, da bin ich mir sicher. Aber alleine, so wie ich gerade bin, komme ich nicht weiter.
Da beschließe ich, weder vor noch zurück zu gehen. Ich beschließe, rechts von mir, Richtung Waldweg zu ziehen, aufs Trockene zu. Und ziemlich schnell bin ich wieder auf festem Boden. Ich schaue noch ein letztes Mal zurück, darauf, wo ich hergekommen bin. Ein paar wenige Meter, die den Unterschied machen. Dort drüben der Schilf und der Schlamm, und hier bin ich, mit nassen Füßen, aber in Sicherheit. Mission abgebrochen. Mir ist zwar kalt, aber ich kann jetzt zum Hotel zurücklaufen und frühstücken. Puh, bin ich erleichtert.
Drei Wege, mit Herausforderungen umzugehen und die größte Herausforderung von allen.
Es gibt drei Wege, mit Herausforderungen umzugehen. Eigentlich gibt es noch einen vierten Weg, und der ist, alles sein zu lassen. So wie ich in meinem Waldjoggen. Aber davon spreche ich hier nicht, sondern wie wir Herausforderungen tatsächlich meistern können.
Wir können weitermachen, so wie wir sind, und die Sache durchziehen. Eventuell schaffen wir es, eventuell nicht. Das wissen wir beide nicht. Als zweiten Weg können wir die Werkzeuge ändern, mit denen wir das Ganze angehen. Neue Tools öffnen uns neue Möglichkeiten. Damit steigen unsere Chancen auf Erfolg. Und als dritten Weg können wir jemanden um Unterstützung bitten, um diese Herausforderung zu meistern. Damit stehen uns nicht nur neue Werkzeuge zur Verfügung, sondern auch die Tatkraft, die Expertise und die Ansichten eines anderen Menschen, der gewohnt ist, in diesen Situationen Lösungen zu finden.
Für manche Menschen besteht die größte Herausforderung darin, zu sagen: "Ich brauche Unterstützung. Ich komme alleine nicht weiter. Es geht weder vor noch zurück. Bitte, zeigst du mir wie?" Ich habe selbst viel zu lange gebraucht, an diesen Punkt zu kommen.
Die Frage ist, ob wir den Mut aufbringen können, uns selbst einzugestehen, dass wir Unterstützung brauchen. Und dann nach dieser Unterstützung auch zu fragen.
Das, wie ich finde, ist die größte Herausforderung von allen.