Dieses Jahr habe ich fast acht Monate lang glutenfrei gelebt und diese Zeit ist nun vorbei. Seit ein paar Wochen muss ich zwei Croissants am Tag essen. Dabei ist es mir egal, ob es Bio-handwerklich geknetete sind oder industrielle Kühlware, im Ofen aufgebacken.

Ein Meditations-Seminar vor 6 Wochen zeigte mir neue Wege auf, wie ich für mich sorgen kann, mit deutlich mehr Möglichkeiten, als aufzupassen, was in meinen Körper kommt. Ich mag, wie entspannt ich mich seitdem fühle. Es ist wie ein neues Vertrauen in die Welt.

Ich habe mich selbst gefragt, was das ist, was mich an das Croissant heranzieht. Ich mag den Kontrast im Croissant, gleichzeitig kross und weich. Ich bewundere seine Vielfalt. Die Oberfläche, zerbrechlich und doch mächtig anmutend. Dann das Innere, weich und klebrig, geradezu matschig manchmal. Bei guten Croissants ist dieser Teil fast herzhaft, hat etwas Edles. Das kommt darauf an, wie das Croissant gebacken wurde. Jeder Bissen schmeckt etwas anders, reagiert anders in meinem Mund, aber immer mit diesem süßlichen Ton.



Nicht, dass mein Leben nur süß wäre. Es gibt um mich herum genügend Gründe, bitter zu werden – doch ich entscheide mich für das Süße in meinem Umfeld, meine Familie und Freunde, meine Klienten, die Menschen, bei denen ich mich gut aufgehoben fühle. So, wie wenn ich beim Türken sage: »Alle Soßen außer scharf«, konzentriere ich mich auf das Liebliche um mich herum – das, worauf ich einen Einfluss habe.

Oh, die Freude, die Enden des Croissants in eine Soße zu tunken, ganz gleich, ob süß oder salzig. Manchmal ist es Erdnussbutter, letztens war es Chili-Limette-Salatdressing, noch übrig geblieben von meiner letzten Essenslieferung. Heute ist es Kinder-Tomatensoße. Glas auf, los geht’s. Ich genieße diese Einfachheit.

Vielleicht ist das eine der wichtigsten Eigenschaften, die ich am Croissant schätze. Die unendlichen Möglichkeiten der Kombination, je nach dem, wie ich mich fühle. Mal süß, mal herzhaft, immer lecker. Und immer authentisch. Das, gepaart mit der Überraschung von jedem Biss. Wird es weich oder kross? Welcher Anteil davon? Wie kombiniert die Soße damit?

Früher hatte ich Angst vor meinem eigenen Leben. Früher konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, wie das wäre, älter als 29 zu werden. Ich hatte Angst, die falschen Entscheidungen zu treffen, dass mein Leben abdriften und ich mich dann selbst nicht mehr wiedererkennen würde. Ich hielt mir alle Möglichkeiten offen, und schaffte es zwar, meine Identität zu bewahren, aber ließ ganz schön viel Glück auf dem Weg liegen. Das sticht noch heute ein ganz bisschen im Herzen, wenn ich daran denke. Aber es ging nicht anders. Ich hatte damals Angst vor dem, was ich noch nicht kannte, oder was ich glaubte, mir vorzustellen, was kommen würde.



Wenn man ein gutes Croissant backen möchte, muss man zuerst den Teig unzählige Male übereinander falten und ausrollen. Pate feuilleté, heißt es auf Französisch, dutzende Ebenen aus diesem Teig liegen übereinander. Man kann sie zu Anfangs noch auseinanderhalten, dann wird es bald unübersichtlich, und sobald der Teig in den Ofen kommt, entstehen die Verdichtungen in ihm, der Blätterteig entfaltet seine volle Pracht, er geht auf, wird unergründlich, und die Schichten kann man nicht mehr auseinanderhalten.

Der Unterschied zu meinem Leben ist, dass ich es geschafft habe, Wahrheit zu finden in den vielen Schichten, die meinen Blätterteig formen – auch nachdem er aus dem Ofen des Lebens gekommen ist. Ich bin in das Croissant meines Lebens reingegangen, habe es aufgerollt, konnte den Ursprung erkennen, den Teig, aus dem wir alle geformt sind. Jede Geschichte auf jedem Blatt hat einen Sinn ergeben, mich mit mir selbst versöhnt, die ich war, die ich bin, und die ich werde. Ich konnte aufatmen, ich fühlte mich danach gestärkt.

Ich bin nun 42 Jahre alt und möchte noch so viel erleben, so viel in die Welt bringen. Familie leben, in mein Herzens-Zuhause ziehen. Ich möchte mein erstes Buch mit einem Verlag herausgeben, Buch zwei und drei zu Ende schreiben. Dieser »niemals versiegende Forscherdrang«, wie meine Klientin das nennt, ist in mir lebendig wie nie zuvor. In mir ist nun Vorfreude auf das Unbekannte – etwas, das ich mir früher nicht vorzustellen vermochte.

Das Croissant, diese zunehmende Mondsichel, liegt vor mir, auf meinem Teller. Ich möchte mein Croissant aufrollen, diesen unergründlichen Blätterteig von innen wie von außen bewundern. Ich möchte sehen, was in seinem Kern ist, bewundern, wo der Strudel des Teigs beginnt, der Bereich, den ich selten zu sehen bekomme.

Und dann möchte ich es wieder zusammenrollen und in eine klebrige Soße tunken und nicht wissen, wie es sich anfühlen wird wird – bis es meinen Gaumen berührt. Sodass ich nicht anders kann, als zu genießen, jedes Mal nicht zu wissen, welchen Teil von ihm ich schmecke, und mich von jedem einzelnen Bissen immer wieder aufs Neue überraschen zu lassen.






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