Was Schreiben mit Mut zu tun hat – Buchbesprechung »Serenade in Mexiko« von James M. Cain
Nachdem Bodo Kirchhoff mir den Roman »Serenade in Mexiko« zum Lesen empfahl, zusammen mit einem Dutzend anderer Bücher, gab ich eine Großbestellung auf, alles antiquarisch. Das war fast zwei Jahre her, und seitdem stand das Buch im Schrank.
Ich hatte 2023 einen seiner Schreibseminare am Gardasee besucht als die jüngste unter neun Teilnehmern, die meisten weit über dem Renteneintrittsalter. Obwohl ich zu den wenigen gehörte, die etwas veröffentlicht hatten, nahm ich mir dieses Seminar vor, als hätte ich noch nie etwas geschrieben. Ich machte mir jedes einzelne Mal Notizen, wenn Kirchhoff einen Text eines anderen Teilnehmers besprach, Verbesserungen vorschlug, über Literatur sinnierte, Beispiele gab, Anekdoten erzählte. Ich war da, um zu lernen, und zu lernen hatte ich einiges.
Der Titel des Seminars lautete »Schreiben als Wagnis« – aber obwohl ich zu dem Zeitpunkt seit neun Jahren schrieb, merkte ich immer wieder im Laufe der Woche, dass mich meine Wagniskompetenz im Stich ließ. Wie wagt man was beim Schreiben?, fragte ich mich immer wieder. So oft erinnerte ich mich an Situationen in meinem Alltag, bei denen ich haderte, ja die wenigsten zu verprellen, ja meine Leser mitzunehmen, dass sie sich erkannt fühlen sollten, und gleichzeitig wertgeschätzt und respektiert. Wo ist da Raum für Wagnis?
Die Texte mancher Teilnehmer im Seminar verloren sich in Obszönitäten, andere wiederum schafften es, riskante Situationen und Gefühle elegant und würdevoll darzustellen. Ich konnte im Laufe dieser Woche immerhin eine fiktive Geschichte entwickeln, die unterbewusst den Tod meines Vaters vorweg aufzuarbeiten versuchte, bevor er sich ereilte. Ich war stolz und bewegt über diese Entwicklung.
Vom Seminar blieb am meisten hängen, neben der Textbesprechungen, Kirchhoffs Worte an mich beim letzten gemeinsamen Abendessen mit der Gruppe. Er hatte neben sich an den Tisch gedeutet, als die Teilnehmer begannen, im Restaurant die Plätze untereinander zu verteilen. In der Regel versuchten besonders die Teilnehmerinnen höheren Alters einen Sitz neben ihm zu ergattern, und mir lag nicht viel an dieser Art von Schulmädchenrivalität, obwohl ich natürlich ebenfalls gerne neben ihm gesessen hätte. Ich hielt mich meistens also raus aus dem Wettbewerb. An dem Abend aber deutete er zu mir und auf den Platz neben sich am Tisch, zu seiner Rechten: »Du sitzt heute Abend hier, Maria.«. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich plumpste selig in den Stuhl. Im Laufe des Abends kam unsere Konversation schließlich aufs Seminar. »Du hast es drauf, aber musst mehr wagen«, sagte er zu mir. »Langfristig wirst du Literatur machen können, aber du musst dich mehr trauen.« »Was kann ich lesen, um wagen zu lernen?« Darauf kamen seine Empfehlungen, unter anderem »Serenade in Mexiko« zu lesen, und viele andere Romane mehr. Seine eigenen brauchte er nicht empfehlen – für Kirchhoff ist das Wagnis die Norm. Seine Memoiren aus Kindheit und Jugend hatten bei mir auf dem Nachttisch gelegen, als ich 2020 die letzten Texte für »Alles im Flow?« schrieb. Wer »Dämmer und Aufruhr« kennt, weiß, was Wagnis in der Literatur ist. Am selben Abend bestellte ich mehr als ein Dutzend Bücher.

Wie ich nur zögerlich ins Buch reinkam
Nach der Lieferung kurze Zeit später begann ich mich langsam durch die Liste der Kichhoffschen Buchempfehlungen durchzulesen. Ich kam irgendwann zu diesem Werk à 180 Seiten, »Serenade in Mexiko« von James Mallahan Cain (1892-1977) aus dem Jahr 1937. Ich hatte die deutsche Fassung erworben, über Suhrkamp verlegt, in einer Übersetzung von Ernst Weiß (1882-1940); ein kleiner, obskurer Roman, der in der Form nicht mehr verlegt wird. Cain ist dem größeren Publikum bekannt als Autor für Kriminalromane, sein berühmtester, »The postman always rings twice« (1934), wurde mehrfach verlegt und verfilmt.
In meiner üblichen Manier hatte ich mir den Klappentext nicht vorher durchgelesen, worüber ich im Nachhinein sehr froh bin, denn dann hätte ich innerhalb von wenigen Sekunden die gesamte Geschichte erfahren, inklusive Ende, komplett mit allen Spoilern. Warum macht ein Verlag so etwas, frage ich mich? So viel schöner ist es doch, die Geschichte nach und nach zu erfahren, während der Autor sie erzählt, sich an der Hand führen zu lassen und mit ihm in diese Welt einzutauchen.
Zugeben muss ich, dass ich dem Autor erstmal nur zögerlich die Hand geben wollte. Da es sich hier um die deutsche Übersetzung handelte, gab es zwei Menschen, die mir die Hand anboten, einerseits Cain und andererseits Weiß, der Übersetzer.
An sich gehöre ich zu denen, die so ein Buch in ihrem Original lesen, dafür kann ich zu gut Englisch. Nun, das lag jetzt auf dem Nachttisch, also ran. Ich brauchte einige Zeit, um mich an Weiß’ Sprache zu gewöhnen, bis mir dämmerte, dass Weiß aus außerhalb Deutschlands kommen musste, und es deshalb war, dass mir seine Sprache manchmal ungewohnt vorkam. Tatsächlich, in Brünn geboren, im damaligen Reich Österreich-Ungarn, brachte ihn sein Leben über Berlin und Prag schließlich nach Paris. Er war selbst Schriftsteller und Arzt, Veteran aus dem ersten Weltkrieg, später kämpfte er auch an der republikanischen Front im spanischen Bürgerkrieg. Und es ist diese trockene Sprache der dreißiger Jahre, zusammen mit einem Vokabular, das mir nicht geläufig ist, welche mir ein “In-die-Hand-nehmen” zunächst verwehrten, später einen unglaublichen Genuss bescherten. Wenn man erst eingetaucht ist, sind die Bilder und Metaphern, ist die Wortwahl erfrischend, da sie neue Gedankenprozesse in Gang setzt. In dieser Hinsicht eröffnet dieses Buch nicht nur ein, sondern drei Tore zu einer anderen Welt: des Romans, der Sprache und der des zeitgenössischen Mexiko, USA und Guatemala. Und ich merke es jetzt, an meinem Schreiben dieses Textes, direkt nach dem Lesen, wie diese Sprache dann doch etwas auf mich abgefärbt ist, ein wenig distanziert und höflich, direkt auf den Punkt und gleichzeitig Räume öffnend.
»Serenade in Mexiko« ist ein zeitgenössisches Werk der dreißiger Jahre, beschreibt die Geschichte des Opernsängers John Howard Sharp, der in Mexiko hoffnungslos heruntergekommen ist und der jungen Indianerin und Prostituierten Juana Montes. Anfangs ein Mann mit einem niedrigen Selbstwertgefühl, ohne Fähigkeiten oder Geld, der sich duckt und sich versteckt, ein Musiker, der seine Stimme verloren hat, entwickelt er sich durch die Beziehung zu Juana wieder zu dem Künstler, der er war, erlangt wieder seine Kraft, wird erneut zum selbstsicheren Musikertalent, das er einst gewesen sein musste. Er wird mutig, beginnt zu wagen, eröffnet sich Möglichkeiten, gewinnt so immer mehr an Status, nimmt Juana immer weiter dabei mit auf dieser inneren und äußeren Entwicklung.
Warum ich den Roman aus Musikerhinsicht spannend finde
Für mich als Musikerin ist gerade die Facette interessant, dass Sharp Opernsänger ist – eine Tatsache, die im Laufe der Geschichte erst offensichtlich wird. Es ist schwierig, Bücher zu finden, in denen Berufsmusiker realistisch beschrieben werden. Hier in dem Falle ein Opernsänger des höchsten Kalibers, mit seinen Selbstzweifeln, verursacht durch den oben erwähnten (psychosomatisch bedingten) Stimmverlust, den er vor dem Beginn des Romans erlitten hatte, der ihm den Absturz seiner Karriere bedeutet hat, aber auch seinen egomanischen Wahnvorstellungen dessen, was er in der Lage ist, zu bringen und zu leisten, sobald seine Stimme zurückgekehrt ist, welches er immer und immer wieder erfüllt, zur erfreuten Überraschung der Leserin.
Das Talent und die Stimme von Sharp nach und nach entdecken zu können, zusammen mit seiner Geliebten Juana, ist eines der schönsten Erzählstränge im Buch. Das Desaster des Absturzes bermerken wir zuerst, wo er zu Beginn des Romans für sie ein Lied zu singen versucht. Sie hat ihn mit zu sich genommen, und während sie sich kennenlernen, trifft eine Gruppe von Mariachis ein und stört die Geselligkeit. Er unterbricht die Serenade und schnappt sich eine der Gitarren, um selbst für Juana zu singen. Dort lernen wir, dass Gitarre eines der Instrumente ist, aus dem er »das Letzte vom Letzten« rausholen kann. Nach einer Instrumental-Overtüre aus dem letzten Akt der Oper »Carmen«, die er zum Besten gibt und sehr gut ankommt, schickt er sich an, die Habanera zu singen. Nach wenigen Takten geschieht das Unerwartete: sein Gesang gefriert der wohlgestimmten Zuhörerin das Lächeln auf den Lippen; der Ofen ist aus, er wird wortwörtlich auf die Straße geworfen. Später reflektiert er: »Und nach einer Weile überkam es mich in der Art, daß ich vor dem, was sie da in mir gesehen hatte, selbst Angst bekam. Musste es nicht etwas Grauenhaftes sein? Ich wollte nicht wissen, was.«
Die Wege von Juana Montes und Sharp kreuzen sich Tage später, als sie ihn aufsucht und bittet, mit ihr nach Acapulco zu reisen und mit ihr ein Bordell für Amerikaner zu eröffnen. Auf der Fahrt dorthin geraten sie in einen derartigen Gewittersturm, dass sie herausgefordert werden, in einer verschlossenen Kirche (ja, samt Auto) Unterschlupf zu suchen. Es ist in diesen Szenen der sintflutartigen Regenfälle, dass Cains Fähigkeit, in seiner Prosa zu wagen, in voller Pracht sichtbar wird:
»Plötzlich gab es über uns einen furchtbaren Krach, alle Riemen des Verdecks [des Wagens, Anm. von mir] spannten sich bis zum Bersten, und etwas von der Größe eines Fünf-Gallonen-Krugs stürzte hart neben uns in die Tiefe. Noch bevor es unten auffiel, hatte ich gebremst. Das erste, was ich jetzt wahrnahm, war, daß sie wieder zu atmen anfing. Der Motor arbeitete noch, und ich setzte den Wagen allmählich in Gang. Es dauerte eine Minute, bevor ich herausbekam, was es gewesen war: der Regen hatte einen Felsklotz über uns losgelöst, und er war auf uns gestürzt. Statt aber das Verdeck zu durchschlagen und uns zu erledigen, hatte er oben das dicke Bündel mit den Matten getroffen und war daran abgeglitten. Immerhin hatte er das Dach durchschnitten, und als wir um den Hügel herumbogen, war es aus mit dem Verdeck. Der Sturm fuhr so wütend darüber, daß es riß, und der Regen troff von oben auf mich herab. Dann rollten die Matten los, es krachte von einem neuen Riß, und jetzt goß es auf sie in Strömen.« (Gemeint mit »sie« ist Juana.)
An dieser kurzen Passage können wir die Verwüstung durch das Unwetter erahnen, das das Auto regelrecht zerreißt. Zunächst sind sie beinahe dem Tode entkommen, und wie so häufig bei diesen Situationen, bemerken sie das im Nachhinein; zusätzlich verlieren sie mit dem Verdeck jedoch den einzigen Schutz, den sie haben. Nebenbei sei hier beispielhaft die Sprache von Weiß zu erkennen: »troff«, von »triefen«, ist ein Verb, das heute selten im Präteritum verwendet wird.
Gewagt finde ich die Tatsache, die beiden Hauptfiguren dem Äußersten auszusetzen: die Szene geht noch weiter und weiter, eine Ausnahmesituation folgt der anderen, bis er schließlich das »Sakrileg« begeht, das Auto, oder was von ihm übrig geblieben ist, in eine verlassene Dorfkirche zu fahren, um sich vor dem Gewitter unterzustellen. Das ist nur ein Beispiel für Extremsituationen in diesem Buch.
Die Entwicklung des Künstlers im Protagonisten
Nachdem sich Juana und Sharp zum ersten Mal lieben, noch in der verlassenen Dorfkirche, geschieht die Wandlung. Anfangs summt er ein Lied vor sich hin, während sie das Kochlager aufräumen, dann muss er auf einmal innehalten, da er sich an ihre erste Reaktion erinnert, wo ihr die Gesichtszüge entglitten waren. Sie bittet ihn jedoch freudig, weiter zu singen, und ab da beginnt ihm zu dämmern, dass seine Stimme wieder zurückgekommen sein könnte. Er »legte etwas hin, die Kehle weit geöffnet« (erneut die Sprache von Weiß; gemeint ist, er schmettert irgendeine Arie), hört und fühlt, dass die Stimme zurückzukommen scheint, klettert die Orgelempore hoch und setzt sich an die Orgel, um zu prüfen, wie hoch er eigentlich gerade gesungen hat.
Alleine dieses kleine Detail lässt erkennen, wie gut Cain das Musikersein kennt und insbesondere das Singen am Theater – Cains Mutter war anscheinend Opernsängerin gewesen.
Sharp findet immer wieder Gelegenheiten, sein wiedergefundenes Talent einzusetzen, um seine und Juanas Situation zu verbessern. Später im Buch besucht das Paar eine Open-Air-Aufführung von Carmen. Mittlerweile sind sie in Hollywood ansässig nach einer Überfahrt in die USA, er hat einen kleinen Job im Radio als Musiker gefunden, und es ist in einem kurzen Moment während des ersten Akts der Oper, dass er etwas bemerkt, was anderen nicht aufgefallen wäre. »Aber einer vom Fach merkt so etwas meilenweit.« Er bekommt mit, dass Zuniga, von einem Bass gesungen, hinter die Bühne gebeten wird, und abgeht. Sharp macht sich nichts daraus, bis Carmen bei der Seguidilla ist und ihm »das Licht aufging«: Escamillo ist verhindert – und Zuniga soll ihn vertreten, deshalb wurde er gerufen – um sich hinter der Bühne umzuziehen. Sofort sprintet er los, und der Leser kann nicht ganz fassen, dass er sich zutraut, was er sich da gerade zutraut. Als er den Künstlereingang erreicht, ist Zuniga bereits dabei, sein Kostüm zu wechseln. Sharp ergreift die Gelegenheit, bietet sich an, einzuspringen: Er habe mehr als einhundert Mal bereits den Escamillo gesungen. Nach kurzem Überlegen willigt der Dirigent ein, der Abend wird ein voller Erfolg. Noch in der Garderobe macht er einen Vertrag für einen kleinen Film in Hollywood klar, der ebenfalls reüssiert. Der Aufstieg ist fulminant.
Hier beweist James M. Cain, wie gut er das Opern- und das Showbusiness kennt und nicht nur das Geschäft, sondern die musikalischen Einzelheiten, die man nur wissen kann, wenn man diese aus erster Hand weiß. Vom Arrangieren von Liedern bis hin zur Produktion der ersten Tonfilme (daher ein Sänger wie Sharp zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist) und die Verhandlungen von Gagen. Sharp kennt seinen Wert, und es ist fast überraschend, wie schnell diese Selbstsicherheit zurückkehrt – immer mehr, je höher er aufsteigt. Doch wie wir wissen: alles was aufsteigt, wird irgendwann fallen, und was der Fall kosten kann, vermag Sharp sich nicht vorzustellen.
Was ich aus diesem Buch mitnehme
Letzten Endes ist »Serenade in Mexiko« ein Buch der Extreme, sowohl die Sprache und Umstände, die die Figuren umgeben, als auch die Bereitschaft dieser Figuren, für das einzustehen, was sie im Tiefsten bewegt. Am meisten nehme ich für mich mit die Freiheit, in meinen Texten auch mal das Äußerste zu erforschen, nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich und emotional. Ich schreibe selten Geschichten, und im Moment meistens eher Sachtexte, die später in mein zweites Buch reinkommen, aber ich möchte versuchen, etwas rauer zu werden in diesen Texten, direkter zum Punkt zu kommen. Das macht Cain meisterhaft.
Vielleicht bedeutet »mehr wagen« auch genau dies: nicht gefallen, auch mal unbequem werden. Aber nicht nur für andere. Cains ungeschönte Darstellungsweise hat mich daran erinnert, wie kraftvoll es für einen selbst ist, beim Schreiben die eigene Komfortzone zu verlassen.
Ich würde einem interessierten Leser einen Bärendienst tun, wenn ich die Handlung an dieser Stelle weiter verrate. Vielleicht ist der größte Verdienst dieses Romans das Rohe an der Beschreibung, die Fähigkeit von Cain, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu sagen, sodass ein Bild im Kopf entsteht, eine Beziehung zwischen zwei Menschen, und der Konflikt, der sich aus deren diametral entgegengesetzten Ängsten und Sehnsüchten entwickelt. Der Leser wird hier oft gezwungen, zwischen den Zeilen zu lesen, die Prosa ist direkt aber lässt Räume offen. Obwohl ich einen zweiten Anlauf gebraucht hatte, bin ich froh, das Buch gelesen zu haben, denn Kirchhoffs Absicht bei der Empfehlung dieses Romans ist gelungen: mir Wege aufzuzeigen, wie man mehr beim Schreiben wagt.
Nach dem Schreibseminar damals schrieb ich einen der für mich gewagtesten Texte, »Mein Vorbild erinnert sich nicht mehr«, einen persönlichen Bericht über die schleichende Erkrankung meines Vaters. Ich veröffentlichte ihn im Flowletter und erhielt daraufhin Dutzende von Nachrichten.
Und vielleicht war es eben das, was Kirchhoff meinte, an diesem letzten Abend, als er sagte: »Du hast es drauf, aber musst mehr wagen.« Ich dachte damals, er sprach über das Schreiben. Inzwischen weiß ich: Er sprach auch über das Leben. Insbesondere in den letzten Tagen ist mir, nicht nur durchs Lesen, bewusst geworden, dass ich in meinem Leben einiges mehr wagen kann.
Schreiben, so wie Musizieren, ist oft nichts anderes als Protokoll und Spiegel dessen, was sich in uns bewegt. Womöglich ist es das größte Wagnis, wirklich hinzusehen, wenn sich etwas verändert.
Und vielleicht ist Lesen, und Leben, vor allem eins: sich an die Hand nehmen und führen zu lassen. Erst zögerlich, dann mit wachsendem Vertrauen, dorthin, wo wir alleine nicht hinschauen würden.