Wie man erfolgreich mit Klavier aufhört

Wie man erfolgreich mit Klavier aufhört

»Man muss ja mit zwei Händen verschiedene Dinge machen! Wie kompliziert! Geht gar nicht!« (Diese Worte höre ich tatsächlich noch heute oft als Klavierlehrerin.)

Ich kam mit zehn zur ersten Klavierstunde und auch nur, weil mein Bruder monatelang gebettelt hatte — er wollte wie sein bester Freund auch Klavierunterricht bekommen. Meine Mutter dachte sich: »Wenn, dann gleich beide Kinder.« Aber ich wollte nicht.

Mit acht Jahren hatte ich Blockflöte gelernt (mein erstes Instrument), spielte im Flötenchor in meiner Kirchengemeinde. Ich konnte Noten lesen, hatte Flötenunterricht, trat regelmäßig mit dem Kinder- chor auf und hatte vor allem viele Freundinnen dort. Ich war mit Musik bestens versorgt. Aber ich war auch neugierig.

Meine Klavierlehrerin und ihr Mann kamen aus Litauen und gaben in ihrem Hause privaten Klavierunterricht. Er war Konzertpianist, sie eigentlich Cellistin. Vielleicht lag darin schon das erste Problem. Mein Bruder sollte beim Ehemann Klavierunterricht bekommen, beide Kinder zeitgleich, ich also bei der Cellistin — zwei Mal jeweils eine halbe Stunde pro Woche.

Ich fand meine Lehrerin nett. Sie war stets fröhlich, jedoch auch manchmal streng. Ich bewunderte sie sehr. In meiner ersten Klavierstunde brachte sie mir die C-Dur- und die G-Dur-Tonleiter bei. Ich kann mich noch sehr gut an das Blatt Noten-Papier mit den aufgemalten Tonleitern erinnern und wie es auf dem Klavierpult lag. Irgendwie muss ich das gekonnt haben, doch aus heutiger Sicht empfinde ich den Unterricht dieser Lehrerin als intellektuell und wenig körperlich, wenig auf Klang oder Emotion bezogen. Ich lernte gewissermaßen ein Stück nach dem anderen wie am Fließband. Klar, ich konnte das: Ich war zehn Jahre alt, das bedeutet, für den Klavierunterricht bereits intellektuell »belastbar«, ich konnte Noten lesen und gut singen, hatte also Musikerfahrung. Das ging alles schon – Freude hatte ich nur wenig dabei.

Die natürliche Konsequenz: Ich übte immer weniger. Was ich besonders hasste, waren walzerähnliche Stücke, in denen die linke Hand in jedem Takt hin und her springen musste. Das bekam ich nie auf die Reihe. Sie versuchte, es mir auch immer und immer wieder zu vermitteln, und ich kann mich gut daran erinnern — doch ich verstand es nicht. Das Gefühl, mit zwei Händen zwei verschiedene Dinge machen zu müssen, bestand weiter. Ich lernte eigentlich nichts über Musik. Ich konnte Stücke spielen, aber Musik war nicht Ausdruck, nur Druck. Und ich war verunsichert.

Sie fand mich anscheinend trotz allem gut, ließ mich manchmal ihrem Mann, dem Konzertpianisten, vorspielen. Bei den Schülerkonzerten war ich tierisch aufgeregt, aber sie gelangen. Einmal versuchte sie mich zu überreden, bei »Jugend musiziert« mitzumachen. Das lehnte ich kategorisch ab. Am stärksten hatte ich etwas dagegen, vorgeführt zu werden. Aber eigentlich hätte ich es gern gemacht. Meine Mutter und sie haben mich gefühlt wochen- oder monatelang zu überreden versucht. Als ich schon Ja sagen wollte, hörten sie auf. Ich nahm nicht teil.

Nach ungefähr anderthalb Jahren wollte ich nicht mehr weitermachen. Die Mischung aus Druck und Verunsicherung war mir schlicht zu viel geworden. Hände wurden über dem Kopf zusammengeschlagen, mahnende Worte gesprochen, dann ein letzter Versuch unternommen: Ob ich denn beim Ehemann Klavierunterricht bekommen wolle? Ja, okay. Das lief für ein paar Monate. Es tat gut, mit jemand Neuem zu arbeiten, auch wenn ich ihn als Lehrer als etwas distanziert empfand. Vielleicht war es auch schon viel zu spät, um mich mit dieser Art von Unterricht zu »bekehren«. Ich hätte etwas anderes gebraucht. Der Wechsel entfachte die Flam- me nicht. Da sagte mein Vater: »Du kannst aufhören.« Ich war zwölf. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Schade, wenn die anfängliche Neugierde nicht gestillt werden kann. Oft ist es das, warum manche Kinder mit Klavier aufhören: Sie wurden nicht dort abgeholt, wo ihre Interessen waren, oder sie erlebten Musik nicht als ein Medium zum Ausdruck, sondern als etwas, das man am Flügel in einem viel zu großen Saal auf einer viel zu hohen Bühne vor viel zu vielen Menschen runter rattert und wo man sich hinterher ungeschickt verbeugt.

Kein Wunder, dass sie irgendwann damit aufhören wollen.



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