Rhythmusschwierigkeiten und ihre Ursache


Rhythmusschwierigkeiten und ihre Ursache

Letztens bekam ich eine Unterhaltung in einer Facebook-Gruppe für Klavierlehrer mit. Das Thema: Rhythmusprobleme, die im Unterricht anscheinend immer häufiger vorkommen und vor allem schon bei den elementarsten Rhythmen. Der Verfasser des Posts reflektierte dahingehend, dass es fast so scheint, dass folgender Zusammenhang bestehen würde: je mehr Musik “konsumiert” würde, desto weniger gelinge das Nachspielen von einfachen rhythmischen Phrasen.

Als Antwort kamen diverse hilfreiche und weniger hilfreiche Tipps, von Rhythmussilben über Händeklatschen bis hin zur “allbewährten” klassischen Methode: dem Metronom.

Lösungsvorschläge jeglicher Art werden in meiner Erfahrung nur dann Erfolg bringen mit einem Verständnis für die Ursache der Rhythmusprobleme: Die Ursache der Rhythmusprobleme liegt darin, dass das eigene Gewicht nicht wahrgenommen wird.

In Kurzform, hier war meine Antwort auf den Post:

Meine Antwort in den Kommentaren. Erläuterung weiter unten im Text.

Da mir dieses Thema sehr am Herzen liegt und ich ihm in meinem Blog mehr Raum geben kann als in den Kommentaren eines Facebook Posts, möchte ich im Näheren darauf eingehen, was ich genau mit diesen Ausführungen meine. Danach möchte ich den beliebten Lösungsansatz “Metronom” beleuchten und erläutern, wann es bei Rhythmusproblemen hilfreich sein kann, und wann nicht.


Anspannung und Gewichtgefühl: die Verbindung

Viele werden sich an eine Situation in ihrem Leben erinnern können, bei der sie “wieder Boden unter den Füßen gespürt haben”. Situationen, in denen wir beispielsweise sitzen und auf einmal wieder den Stuhl wahrnehmen und uns zum Stuhl hin entspannen können. Wie das Gewicht wieder nach unten fließt und wir das Gefühl von angenehmer Entspannung fühlen.

Was war vorher passiert?

Ein klares Anzeichen von innerer Spannung ist, dass wir uns körperlich zusammenziehen. In diesem Moment ziehen wir unbewusst unser Gewicht weg vom Boden, es ist fast so, als wollte der Körper jederzeit losrennen. Das ist eine absolut natürliche Reaktion auf Angst, Spannung, Druck oder dem Gefühl von Bedrohung. Geht die Angst, die Spannung, der Druck oder das Gefühl von Bedrohung, können wir in der Regel das Zusammenziehen auflösen, wir können wieder aufatmen und wieder unser Gewicht an den Boden abgeben.

Gesetzt den Fall, dass die Spannung oder das Gefühl von Bedrohung nicht weggeht, was passiert dann? Ja, irgendwie muss es ja weitergehen, denkt der Körper, und “friert” diese Spannung im Körper ein. Sie ist dann noch da, wird aber nicht mehr als solche wahrgenommen. So gelingt das Überleben und auch das ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf zu viel, lang andauernde Anspannung. Wir können dann in der Regel unseren Alltag weiterhin bestreiten.

Als Erwachsene haben wir viele Möglichkeiten, Spannungen aufzulösen: wir können uns mehr bewegen, wir können das Gespräch mit jemand anderem suchen, uns Beratung holen (auch das kann innerlich entspannen). Manche setzen sich an ihr Musikinstrument und “spielen die Spannungen weg”. Kurz: Wir haben Ressourcen zur Verfügung.


Anspannung und Gewichtgefühl bei Kindern

Was ist nun, wenn es sich um ein Kind handelt, das eine Spannung hat, oder Angst, oder das Gefühl von Bedrohung? Grundsätzlich gilt: Das Kind kann diese innere Spannung nicht alleine abbauen, sein Nervensystem muss es noch lernen. Und lernen wird es mit den erwachsenen Bezugspersonen. Das Nervensystem des Kindes sucht in dem Moment die Erwachsenen, um die innere Spannung loszulassen zu können. Erst im Kontakt mit den Erwachsenen, wenn das Kind sich mit ihnen regulieren kann (Co-Regulation), kann sich die Spannung im Körper des Kindes auflösen. Das läuft alles über das Nervensystem, und wir Menschen sind genau dafür gemacht – Tausende von Jahren entwickelte sich unser Nervensystem dahingenehd. Sofern die Eltern ihrem Gefühl genügend vertrauen (und nicht dem, was sie denken, das richtige wäre), wird ihre Reaktion in den meisten Fällen hilfreich für das Kind sein.

Co-Regulation geschieht bei jungen Kindern eher nonverbal als verbal – je älter Kinder werden (Richtung Teenager), desto größer wird die Bedeutung der verbalen Co-Regulation. Allerdings beobachte ich hierzulande, wie Eltern junge Kinder vor allem verbal co-regulieren (mittels langen “Erklärungen”). Ich behaupte, es ist bei diesen Eltern kein Gefühl mehr da für das, was stimmig ist. Es wird viel aus dem Kopf heraus reagiert, “was richtig sein sollte”. Darin könnte für mich eine der Ursachen von Anspannungen bei Kindern liegen.

Auch beim Kind gilt: Erfolgt keine Co-Regulation mit einem Erwachsenen, muss die innere Anspannung, die ja auch eine körperliche ist, im Körper “eingefroren” werden. Diese Spannung kann manchmal überwältigend sein – das sind große Emotionen und Anspannungen, die im kleinen Körper des Kindes stattfinden. Besonders in diesen Fällen greift der Körper zur altbewährten (Millionen von Jahren andauernde) Überlebensstrategie: “Einfrieren”. Je jünger das Kind, desto mehr braucht es den Erwachsenen für die Co-Regulation, andernfalls muss die Spannung im Körper “eingefroren” werden. Denn: es muss weitergehen. Das Nervensystem des Kindes kümmert sich um sein Überleben, denn mit der großen Anspannung ließe es sich nicht leben. Dadurch wird das Gewicht des Körpers teilweise nicht mehr empfunden. Und dort sehe ich persönlich die Ursache von Rhythmusschwierigkeiten.


Balancebewegung im Stehen

Balancebewegungen im Stehen, vom Schwerpunkt des Körpers aus geführt. Foto: Ralf Hiemisch

Rhythmus, Puls und Gewicht in ihrem Zusammenhang

Was ist Rhythmus? Rhythmus ist zunächst etwas, das immer wiederkehrt. Kehrt ein Element immer wieder zurück, entsteht im Gehirn ein Muster, und das ist, was wir als Rhythmus bezeichnen.

Der einfachste Baustein von Rhythmus ist Puls. Was ist Puls? Um es vereinfacht zu erläutern, möchte ich das Bild eines Pendels heranziehen, beispielsweise einer Pendeluhr. Wir ziehen die Uhr auf, und daraufhin pendelt diese in einem einfachen Rhythmus: hin und zurück, hin und zurück. Das ist Puls.

Das Material, mit dem das Kind die kleinste Zelle von Rhythmus, das Pendeln, erleben könnte, ist also sein eigenes Gewicht. Wird das Gewicht empfunden, kann das Kind ganz natürlich pendeln, dank seines Balancesinns, hin und zurück, als erlebte Erfahrung. Wird jedoch aufgrund der obigen Schilderungen das eigene Gewicht als solches nicht mehr empfunden, kann auch kein Pendeln stattfinden. Und ohne Pendeln kann kein Gefühl für Rhythmus entstehen. Denn: Ich muss ja fühlen, wo die eine Zählzeit beginnt und die andere endet. Das hat auch mit erlebter Bewegung zu tun. Schüler, die das so erleben, tun es oft unbewusst. Andersherum kann ich daraus folgern, dass dort, wo Rhythmusschwierigkeiten herrschen, auch das Gewicht zusammengezogen ist.


Praxis: “Maria, funktioniert das denn so auch bei Erwachsenen?”

Dieser Zusammenhang besteht für alle, Kinder und Erwachsene. Dazu nehme ich Beispiele von Erwachsene in meinen Kursen, die mit den Resonanzlehreübungen gearbeitet haben. Diese Übungen basieren auf dem Fühlen des eigenen Gewichts, um dieses dann aus dem Schwerpunkt heraus zu bewegen. Es gibt also eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewicht. In meiner Arbeit mit den Resonanzlehreübungen haben mir etliche Erwachsene, sowohl Profis als auch Laien, davon berichtet, dass ihr rhythmisches Gefühl sich eindeutig verbessert hat. Ein Laienmusiker, Teilnehmer im Flow-Seminar und Mundharmonikaspieler, berichtete, dass er, nachdem er einige Monate lang die Übungen täglich praktizierte, begann, sich besser im Rhythmus zurechtzufinden und besser zu verstehen, wann er in seinem Stück einsetzen sollte. “Jetzt verstehe ich meinen Lehrer auf einmal”, sagte er mir einige Monate nach dem Seminar.

Im Bereich Profis vielleicht ein Beispiel aus der letzten Zeit: Ich hatte bislang eine handvoll Sitzungen mit einer professionellen Musikerin und fand die Erfolge sehr eindrücklich. Bei dieser Klientin ging es ganz konkret darum, dass sie tatsächlich rhythmische Schwierigkeiten hatte, beispielsweise, um aus einer langen, übergebundenen Note “rauszukommen”. Sie hatte es mit Metronom geübt und es hatte nicht funktioniert, sie fühlte nicht, wann sie weiterspielen sollte.

In ihrem Fall bestand unsere Zusammenarbeit zu größten Teilen aus einem Erforschen der Spannungen, die im Nervensystem “eingefroren” waren. Für diese Erforschung nutze ich das Gelernte in meiner Ausbildung von Somatic Experiencing, eigentlich bestanden unsere Stunden zu größten Teilen aus dieser Arbeit. Auf dieser Basis erfolgte dann eine Einheit am Instrument, mit Mitteln der Resonanzlehre und einigen Körperübungen. In dieser Kombination habe ich bislang die größten Durchbrüche und tiefgreifenden Veränderungen bei meinen Klienten erlebt. Nach jeder Sitzung tat sich bei ihr ein Schub, und nach 5 Sitzungen im Laufe von 4 Monaten hat sich ihre innere Einstellung und ihr Leben grundlegend verändert, und vor allem: die Rhythmusschwierigkeiten reduzieren sich gerade auf ein Minimum, bis sie irgendwann Geschichte sein werden.

Der Grund für Veränderung liegt immer im Nervensystem.


Screenshot auf der Webseite von Statista über den Musikkonsum nach Altersgruppen

Zusätzliche Symptome, die auf eine Trennung vom Körper hinweisen

In meinem Kommentar zu Anfang dieses Artikels schrieb ich, dass das Konsumieren von Musik ein Symptom für die Trennung vom Körper ist, und nicht die Ursache von Rhythmusproblemen. In der Regel sind es Teenager, die die meiste Musik konsumieren. Im Jahr 2021 bestand der größte Marktanteil der Musikkonsumenten von kostenlosen Musikstreams aus Teenagern (Gruppe 10 bis 19 Jahren) (Quelle: Statista). Dieser Trend ist für diese Altersgruppe nicht unüblich, denn gerade Teenager finden in der Musik einen Ort, bei dem sie sich verstanden und abgeholt fühlen. In meinem Buch habe ich über meine eigenen Erfahrungen als Teenager geschrieben und welche unermessliche Bedeutung Musik damals für mich hatte.

Die Lockdowns und Maßnahmen sollten ihr Übriges dazu beigetragen haben, dass Kinder sich in den letzten 2-3 Jahren deutlich weniger bewegen konnten. Ich sehe eine Korrelation zwischen einerseits mehr Anspannung (und sei es die Anspannung ihrer erwachsenen Bezugspersonen) und andererseits weniger Gelegenheiten für Bewegung und sozialen Austausch. Sowohl Bewegung als auch sozialer Austausch wirkt regulierend auf das Nervensystem. Was ebenfalls regulierend wirkt: Musik hören.

Das heißt, bis auf Ausnahmen, die es natürlich immer gibt, haben wir es hier mit einer Generation von Kindern zu tun, die heute deutlich angespannter und unregulierter ist als vor drei Jahren. Das können mir viele Instrumental- und Gesangslehrer bestätigen. Ich höre oft von Verhaltensauffälligkeiten im Instrumentalunterricht, von Schülern, die einfachsten Regeln des sozialen Umgangs nicht mehr zu kennen scheinen, oder die sich schlicht und bei bestem Willen nicht gut konzentrieren können. Das ist kein ADHS – das deutet meines Erachtens auf ein Nervensystem hin, das unreguliert ist. Sind wir unreguliert, ist kein Lernen möglich.


Ein Kind spielt Klavier

Meine Herangehensweise bei Rhythmusproblemen im Instrumental- und Gesangsunterricht

Ich nutze mit manchen Schülern Balancebewegungen aus dem Zentrum des Körpers. Ich zeige ihnen diese Übungen, die sind sehr einfach und bestehen darin, im Sitzen oder im Stehen vom Schwerpunkt des Körpers aus zu pendeln. So pendeln die Schüler auf dem Stuhl im Sitzen, kommen auf dem Stuhl an (in meinem Fall musizieren sie ja im Sitzen, da ich Klavierlehrerin bin). Bei den ganz Kleinen ist das weniger relevant, weil diese Kinder noch nicht so bewusst sind.

Es gibt auch die Momente, wo wir den Arm der Schüler anheben, und sie ihn loslassen sollen. “Gib mal dein Gewicht hier ab”, sagen wir beispielsweise, aber auch das schaffen viele nicht. Aber wenn wir dabei bleiben und sie das Gefühl für einen Moment haben können, machen viele Schüler eine neue Erfahrung: "Aha, mein Arm kann sich ja auch so anfühen".

Das heißt, ich baue immer wieder Momente ein, wo eine aufgestaute Anspannung sich abbauen kann, wo der Körper sich dann Richtung Stuhl niederlassen kann. Dafür braucht es natürlich ein geübtes Auge. Sitzen heißt nämlich noch lange nicht, dass die Person sich auf dem Stuhl niederlässt. Es braucht also auch ein Auge dafür, wo wird Spannung gerade gehalten?

Ab dem Moment, wo Schüler beginnen, etwas zu reflektieren, können wir mit den o.g. Balancebewegungen anfangen. Hier ist eine Liste von 9 Vorteilen, diese Balancebewegungen regelmäßig zu praktizieren (über ein verbessertes Rhythmusgefühl hinaus). Ich hatte als jüngsten Teilnehmer einmal einen 10-jährigen in einem Workshop sitzen. Dieses sah ich als eine Ausnahme an; er war sehr talentiert und sehr reflektiert. In der Regel beginnt diese Reflektionsbereitschaft ab der Pubertät (12 bis 14 Jahre), bei jedem unterschiedlich.

Unterrichtsflow, ein Onlinekurs für Lehrer von Instrumenten und Gesang


Was bringt die Arbeit mit dem Metronom bei Rhythmusschwierigkeiten?

Wie bei jedem Werkzeug, gibt es auch beim Metronom eine in meinen Augen sinnvolle und eine sinnfreie Nutzung. Ein Metronom verwende ich in den Fällen, in denen ich komplexe Rhythmen für einen Moment sortieren möchte: wo gehört was hin? Und wo nicht? Auch im Unterricht kann man es für denselben Zweck einsetzen: Klärung. In der Regel brauche ich das Metronom auch nicht für diese Fälle im Unterricht, da ich mir selbst zu helfen weiß, den Rhythmus zu erläutern und vor allem meine Schüler eine stabile Basis haben. Diese Basis bilde ich mit unterschiedlichen kleinen Übungen, die aufeinander aufbauen: Schon ab der ersten Stunde und in spielerischer Art und Weise können Kinder etwas über Rhythmus und Musiktheorie begreifen und mühelos anwenden – und das zieht sich durch die Jahre.

Nun über die sinnfreie Nutzung des Metronoms, wo es meines Erachtens wenig bis gar nichts bringt, es einzusetzen. Gibt es keinen bereits vorhandenes Gefühl für Puls oder Rhythmus im Schüler, wird die Arbeit mit dem Metronom dieses Gefühl langfristig nicht “reinpauken” können. (Hinweis: Meine folgenden Ausführungen sind für alle gültig: Schüler, Profis, Kinder, Erwachsene. Im weiteren Text bleibe ich jedoch beim Beispiel von jungen (oder heranwachsenden) Schülern.)

Zunächst gilt: Ich möchte niemandem etwas wegnehmen, nur zum Nachdenken und zum Beobachten anregen. Dies vorausgesetzt, möchte ich eine Beispiel anbringen, weil das anschaulicher sein kann.

In meinem Kurs Unterrichtsflow sprechen wir gleich im ersten Modul von Rhythmusschwierigkeiten und meinem Ansatz. In einer Gruppenstunde berichtete eine Teilnehmerin, Lehrerin für Fagott, von ihren Erfahrungen zu diesem Thema: Konnte sie meine Theorie aus der Praxis heraus bestätigen?

Ihr fiel ein Beispiel aus ihrem Unterricht ein, mit einem Schüler. Diesem Schüler hatte die Arbeit am Metronom eigentlich viel geholfen. Sie hatte mit ihm vor einigen Monaten ein bestimmtes Stück grundlegend mit Metronom erarbeitet, weil er Rhythmusschwierigkeiten hatte von ganz langsamen bis hin zu schnellen Tempi, schrittweise und über einen Zeitraum aufgebaut. So, wie es empfohlen altbewährt eingesetzt wird. Dann, wie das so ist, macht man das einige Male im Unterricht mal nicht, weil es lief ja schon wieder gut, und es gibt ja noch andere Stücke usw., und nach einer Zeit sollte der Schüler das Stück wieder spielen. Und dann, so stellte sie mit Erschrecken fest, war alles wieder weg: Der Schüler hatte tatsächlich kein Rhythmusgefühl. Was dann??


Ein Metronom auf einem Klavier

Metronom und Rhythmusgefühl: ein zweischneidiges Schwert

Rhythmus und Puls müssen unbedingt von innen heraus erlebt und dann können sie auch ausgedrückt werden. Wenden wir das Metronom an, ohne dass es ein Bewusstsein für den eigenen Puls und das eigene Gewicht gibt, verlagern wir das Gefühl nach außen hin (Metronom). Vielleicht sogar zeigt eine visuelle Anzeige, wann wir wieder spielen sollen (manche stellen das Metronom auf Lichzeichen und finden das besser). Sprich: wir sind dann an den entferntesten Punkt angelangt, den es in dieser Hinsicht zu Rhythmusgefühl gibt, nämlich dem visuellen Reiz. Rhythmus wird ab jetzt nicht im Körper erlebt, sondern nur ausgeführt werden – auf äußere Anweisung.

Ziel bei der Rhythmusschulung sollte immer sein, einen zu anfangs äußeren Impuls in einen inneren Impuls zu verwandeln. Mit inneren Impuls meine ich: es wird klar und deutlich gefühlt, WANN die nächste Note kommt. Es gibt kein Nachdenken, kein Reflektieren, es agiert der Körper von selbst aus dem prozeduralen Gedächtnis heraus. So, wie wir unsere Zähne putzen, ohne darüber nachzudenken.

Je komplexer Rhythmen werden, desto mehr sind wir darauf angewiesen, dass die Basis im Körper stabil ist. Mit Basis meine ich: der Körper fühlt deutlich einen (Im-)Puls. Es ist in diesem Puls, dass die komplexen Rhythmen ein “Zuhause” finden, sich sortieren können. Alleine der Puls ist etwas total Körperliches, denn der Pendel geht von A nach B, er hat einen Weg zu verfolgen, es gibt kein “Klack, Klack” ohne einen echten, körperlichen Weg.

Ein Metronom ist nur dann hilfreich im Sinne der Lernerfahrung, wenn der Schüler bereits ein Gefühl für den Puls hat (sogenanntes “Rhythmusgefühl”). Besteht dieses Gefühl nicht im Vorfeld, ist die eingesetzte Zeit im Unterricht (und beim Üben) einfach vergeudete Zeit. Denn, wie im obigen Beispiel, man wird immer wieder an den Punkt kommen, bei dem man merkt: “Es gibt ja noch kein Rhythmusgefühl.” Und dann wird man über kurz oder lang Methoden anwenden müssen, die sich mit dem Gewicht beschäftigen, oder mit Silben.


Die Arbeit mit Silben

Ein paar Worte noch zur Arbeit mit Silben (sei es TakeTina oder Alltagswörter): diese können sehr hilfreich sein, wenn beim Ausführen ein körperliches Verständnis zu beobachten ist. Bekannterweise ist Sprechen im besten Sinne eine körperliche Angelegenheit. Das muss der Lehrer auch erkennen können – bringt diese Intervention diesem Schüler gerade mehr innere Ordnung oder mehr Chaos? In meinem Unterricht habe ich auch schon mal Silben eingesetzt. Da, wo ich bei einem bestimmten Schüler nicht weiterkam, war es, weil das Nachsprechen schon nicht ganz im Rhythmus war. Oder wenn ich den Triolen-zu-Achtel-Wechsel veranschaulichen wollte, wurden auch diese Silben nicht genau umgesetzt. Grund war immer, dass es kein Pulsgefühl gab (und daher auch kein Gefühl für die Subdivision). Haben wir das mit der Zeit gelöst, konnte ich die Sprechsilben bei diesem Schüler einsetzen.


Fazit: Rhythmus und das Nervensystem

Ich lade ein, darüber nachzudenken, wie die eigene (frühe) Prägung das eigene Rhythmusgefühl beeinflusst hat. Wie wurde Rhythmus im eigenen Unterricht vermittelt? Wo gab es Aha-Momente? Wo war etwas schwierig? Da, wo es Rhythmusprobleme gibt, wurde der Fluss, die Kontinuität im Nervensystem unterbrochen. Ich spreche hier von grundlegenden Prinzipien, die für uns alle gelten: die des Nervensystems. Und es ist im Nervensystem, dass Lernen stattfindet.

Die gute Nachricht ist: Kontinuität und Fluss können wieder hergestellt werden, durch eine Aufmerksamkeit auf das Nervensystem und ein (Wieder-)Lernen, dessen Sprache zu sprechen. Wir können uns selbst als Lehrer mit diesem Wissensschatz neu verstehen, und dadurch auch unsere Schüler. Wir werden wacher für spontanes Reagieren im Unterricht, können unsere Schüler abholen, besser erkennen, wo ihre eigentlichen Probleme liegen, und mit der Zeit, auch die Spontaneität unserer Schüler herauskitzeln.

Denn es ist diese Lebendigkeit, die wir in der Musik finden, die frei aus dem Moment heraus entsteht, und ein Gefühl von Verbundenheit, der Grund, warum wir die Musik in erster Linie weitergeben wollen.



Unterrichtsflow, ein Onlinekurs für Lehrer von Instrumenten und Gesang



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