Hinweis: Mit diesem Text möchte ich keine besondere Yogaschule kritisieren, denn sie alle haben ihre Berechtigung und jedes Unterrichtssystem ist in sich sinnvoll und verdient meinen Respekt. Es gibt Yogaschulen, die genau diese Hinweise empfehlen, die ich hier aufliste, andere widerum nicht. Vielmehr möchte ich mit meinem Artikel auf ein Bedürfnis von Musiker*innen hinweisen, welches des Öfteren vergessen wird, auch von den Musiker*innen selbst: Musiker*innen, im Gegensatz zu anderen Yogaschüler*innen, brauchen eine Bewegungspraxis, die ihren Körper optimal auf das Weiterleiten von Klängen vorbereitet. Ein reines Körpertraining oder Krafttraining, das diesen Faktor ausschließt, kann dazu führen, dass die Musiker*in, selbst wenn sie mit den Yogastunden etwas Gutes für ihren Körper tut, eher das Gegenteil erreicht. Die Folgen davon können sein: Schulterschmerzen, Nackenschmerzen, Lampenfieber, der Verlust der Fähigkeit, den Ton lange zu halten (bei Blasinstrumentalist*innen), und viele andere Themen, die ich aus meiner Praxis als Resonanzlehrerin kenne.


Welche Körperpraxis bereitet dich als Musiker*in optimal auf das Musizieren vor?

Als Musiker*in brauchst du zum Ausüben deines Berufs einen Körper, der verfügbar ist, deine Impulse und Interpretation umzusetzen, so wie du die Musik in dem Moment fühlst. Du brauchst ein musikalisches Körpergewebe, also eines, das mit der Einatmung aufschwingt und mit der Ausatmung zurückschwingt. Ich nenne das auch gerne ein elastisches Gewebe. So kannst du den Klang mit deinem Körper optimal weiterleiten, dein Obertonspektrum und Klangqualität erweitern und letztendlich komplett in deiner Musik aufgehen - denn das Thema, ob der Körper das macht, was du möchtest, taucht gar nicht erst auf. Dein Körper ist dein Instrument und setzt um, was du möchtest.

Hinter jedem dieser Punkte liegt also immer nur eine Frage: Welche Körperpraxis ist günstig für Klang?

Bevor wir zum Thema kommen: Was sind meine Erfahrungen mit Yoga? Ich praktiziere Yoga regelmäßig seit einigen Jahren. Ich war mal hier und mal da zu einer drop-in Yogastunde; am meisten habe ich mit Videos oder Yoga Apps gelernt. Ich kenne meinen Körper sehr gut, höre ihm aufmerksam zu, und vor allem wende ich die Bewegungsleitlinigen aus der Körperarbeit der Resonanzlehre an. Diese Leitlinien gelten für das Bewegen am Instrument und finden sich in den folgenden fünf Punkten wieder.


1) Atme viel, und atme frei

Mir scheint, dass die Anweisungen, zu bestimmten Momenten und Bewegungen ein- oder auszuatmen im Prinzip nur einen Sinn verfolgen: das der Yogaschüler weiteratmet. Westliche Menschen tendieren dazu, die Luft anzuhalten, etwa wenn sie sich konzentrieren oder etwas Neues lernen, manchmal auch, wenn sie sich bewegen. Grundsätzlich empfehle ich, nie die Luft anzuhalten bei der Yogastunde, sondern eher umgekehrt, den Atemfluss freizugeben und zu erlauben, dass der Körper selbst für ausreichende Sauerstoffzufuhr sorgt. Atmung und Bewegung stehen in einem engen Verhältnis miteinander: Die Bewegung kann sich auf die Atmung einstellen und die Atmung auf die Bewegung. Wenn du nun (als z.B. Streicher oder Klavierspieler) deine Beethovensonate spielst, und also schon einiges am Laufen hast, das du beachten musst - hast du noch Kapazitäten dafür, darauf zu achten, ob du gerade aus- oder einatmest? Oder ob du überhaupt atmest? Musik zu spielen und gleichzeitig die Atmung zu koordinieren kann ganz schön herausfordernd sein. In der Resonanzlehre gibt es einen Schlüsselsatz dazu: Die Bewegung macht die Atmung. Deshalb empfehle ich dir, darauf zu achten, deinen Körper in die Lage zu versetzen, dass deine Atmung unbewusst der Bewegung folgen kann. Aus diesem Verhältnis heraus ergibt sich die Atmung in freier Form aus der musikalischen Bewegung.


2) Achte darauf, dass deine Füße wenn möglich in schulterbreitem Abstand positioniert sind

Wenn es nicht anders geht, etwa weil der Stand absichtlich breit gewählt wird, empfehle ich darauf zu achten, dass die Füße schulterbreit stehen - nicht hüftbreit, wie es in manchen Bewegungsschulungen heißt, und auch nicht zusammen. Besonders die Zusammen-Position ist sehr instabil und der Körper wird auch immer seine Wege finden, sie zu kompensieren. Warum nicht gleich Stabilität anbieten und schulterbreit stehen? In den Stehübungen der Resonanzlehre achten wir darauf, dass die Füße unter den Schultern positioniert sind. Auch dieser Hinweis hat zum einzigen Ziel, dass der Körper daran gewöhnt wird, den Atemfluss indirekt und positiv zu beeinflussen. Körpergewebe braucht zum Aufschwingen einen Boden, auch das Schultergewebe, das unmittelbar über den Lungen liegt. Wird die Schulter vom Boden nicht unterstützt, sackt sie ein bisschen in sich zusammen und drückt auf die Lungen. Für Menschen, die keine Musik machen, ist das unbedenklich. Doch wenn du im Probespiel das Oboenkonzert von Mozart in der ersten Runde spielst, wie alle deine Mitbewerber*innen, brauchst du jeden einzelnen Millimeter, den du dir geben kannst. Der schulterbreite Stand kann dir einige Plus-Prozente geben, sodass dein Atemfluss optimal unterstützt wird.


3) Bleibe flexibel innerhalb der Position

So oft heißt es in der Yogastunde: Bitte halten - die Position und die Bewegung. Hiermit gebe ich dir die Erlaubnis, dieses nicht zu tun. Alles, was wir halten, und danach nicht loslassen, bleibt im Körper gespeichert, insbesondere das Luftanhalten kann darin hartnäckig sein. Um es noch einmal in einer Aussage der Resonanzlehre auszudrücken: Alle Bewegungen sollten umkehrbar beweglich sein. Der Ausdruck umkehrbar kommt ursprünglich vom Feldenkrais, denn ein reifes Nervensystem ist laut Mosché Feldenkrais in der Lage, jederzeit aus einer Position herauszukommen. Bei deiner Yogapraxis empfehle ich daher, nicht starr die Position auszuharren, sondern dabei weiter frei zu atmen und mit dem Körper ein klein wenig zu schwingen, vielleicht die Beweglichkeit vom Kopf und Kiefer zu „testen“, sprich: bleibe stets lebendig, in jeder Form von Bewegung, dann wirst du es auch beim Üben und auf der Bühne tun. Und vor allem: Dann ist auch deine Musik lebendig.


4) Ziehe deinen Beckenboden nicht nach innen ein

Ganz genau - das Gegenteil dessen, was viele Yogalehrer*innen sagen. Oft heißt es bei bestimmten Bewegungen, man solle den Beckenboden nach innen ziehen, etwa (sehr beliebt) beim Einatmen. Als energetische Arbeit mag das durchaus sinnvoll sein. Doch lass uns nicht vergessen, dass du als Musiker*in mit einer ganz anderen Agenda zu dieser Yogastunde angetreten bist: frei und mühelos auf der Bühne zu musizieren, und zwar genau so, wie du die Musik fühlst. Diese Absicht solltest du nicht an der Türschwelle der Yogaschule abgeben, sondern immer bei dir führen, ganz gleich, was du in deinem Alltag tust. Ein weiteres interessantes Phänomen: Viele (weibliche) Musikerinnen, die zu mir kommen mit Verspannungen und Lampenfieber (eine von ihnen, Holzbläserin, hatte sogar Schwierigkeiten, ihren Ton gut zu halten), die machen alle ein solches Körpertraining in ihrem Alltag, das sie dazu anhält, ihren Beckenboden einzuziehen. Das ist ein Erfahrungswert von mir: Ein solches Körpertraining ist für nur sehr wenige Musikerinnen geeignet, und in vielen Fällen sogar schädlich: Der Anteil an Musikerinnen, die zu mir mit ernsten Themen kommen und diesen Hintergrund haben, ist in meiner Erfahrung verblüffend hoch. Daher ist meine Empfehlung in diesem Fall, sich den Anweisungen des Yogalehrers zu widersetzen und einfach mal alles schön frei nach außen schwingen zu lassen.


5) Nutze den Boden für Kraftaufbau

Kraft können wir immer nur mit einem Boden aufbauen. Besteht keine Kooperation mit dem Fußboden (oder wenn du im Sitzen musizierst, mit dem Stuhlboden), dann muss dein Körper in sich einen Boden in sich selbst bauen. Denn ohne eine feste Oberfläche geht Kraft nicht, und ich meine Kraft im Sinne von beispielsweise der Low Lunge oder Kobra Pose. Besonders wichtig ist es, diese Bewegungen im Verhältnis zu deinem Gewichtgefühl und dem Fußboden auszuüben - so nutzt du optimal deine eigene Kraft. Für die Kobra kannst du dich entweder vom Oberkörper hochziehen oder du kannst dich mit beiden Armen gegen den Boden hochdrücken und den Boden durch deinen Körper gehen lassen. Beides macht einen gewaltigen Unterschied in der Körperspannung. Dieses Verhältnis der Kraft und des Bodens kannst du in den Bodenübungen der Resonanzlehre erforschen. Gerade die Bodenübungen sind ein sehr sanftes und gleichzeitig intensives Training darin, dass der Körper lernt, Spannung und Entspannung nach Belieben aufzubauen. Daher: nimm dir Zeit, immer wieder in Kontakt mit dem Boden zu sein, etwa bevor du dich zur Kobra hochdrückst. Du drückst und nicht ziehst. Das ist ein Unterschied. Gib dir Zeit, solche Unterschiede zu merken.


Fazit

Yoga kann eine wunderbare Ergänzung zum Üben sein, wenn du weißt, worauf du achten kannst, dass es auch eine Ergänzung bleibt. Solltest du beim Spielen Beschwerden merken, lade ich dich ein, hier auf dieser Liste nachzuschauen, ob du etwas davon in deiner Yogapraxis umsetzen kannst. Diese Punkte kannst du übrigens auch beim Musizieren direkt anwenden. Weitere Punkte habe ich in meinem kostenlosen E-Book "Fünf Wege zum Flow" ausarbeitet.






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