Deine Schüler können sich um keinen Preis konzentrieren? Oder du selbst steckst in einem kleinen Nachmittagstief? Oder vielleicht möchtest du mal etwas anderes mit ihnen ausprobieren, neuen Wind in die Segel bringen?

Dann empfehle ich freie Improvisation.

Freie Improvisation heißt nur: ich spiele die Musik, die gerade entsteht. Nichts anderes.

Freie Improvisation heißt auch: Ich spiele freie Klänge, suche Klangqualität, Farbenreichtum, ich versuche also nicht, zu komponieren.

Freie Improvisation heißt deshalb auch: Ich denke nicht darüber nach, was ich jetzt tolles beitrage, wohin diese Musik sich entwickeln könnte, sondern ich spiele sie einfach. Ich höre, was gerade für eine Musik entsteht und füge etwas hinzu oder versuche vielleicht, in eine andere Richtung Einfluss zu nehmen.

Wenn ich mit anderen improvisiere, zum Beispiel mit meinen Schülern, dann versuche ich gleichzeitig etwas anzubieten, und zu reagieren, was mir die Schüler antworten. Das ist Führen und Folgen – gleichzeitig.

An anderer Stelle hatte ich von Benno erzählt, mit dem ich in seiner Probestunde improvisierte. Diese Übung möchte ich hier näher erläutern.


Eine einfache Improvisation mit Schülern

Die Übung fängt so an, dass jeder erstmal irgendeinen Ton spielt. Wir setzen nacheinander ein und lassen beide Klänge miteinander schwingen. So entstehen neben unseren zwei Klängen ein dritter Klang, den beide Klänge zusammen bilden.

Dann ändere ich meine Note, während das Kind den Ton weiter anhält und lade es dazu ein, diesem neuen, dritten Klang zu lauschen. Dann ist das Kind wiederum dran, seinen Ton zu ändern, und ich halte meinen. So hören wir auf den neuen dritten Klang. Nacheinander ändern wir unsere Töne vom einen zum nächsten – und so entstehen immer neue Klänge, neue dritte Klänge.

Ich bitte den Schüler, darauf zu hören, dass mein Ton sich auch »ändert«, obgleich ich ihn nicht wirklich verändere. Ein interessantes Phänomen: Nur durch einen anderen Begleitton klingt mein Ton auch irgendwie anders, obwohl er derselbe bleibt.

Dies ist also eine Hörübung und keine Spielübung.

So haben wir zwei Menschen, die gemeinsam hören, einander Klänge anbieten und erst mal das Gehörte wahrnehmen und darauf reagieren.

Das ist die Basis fürs Musizieren: Hören vor dem Spielen. Das Spielen ist dann dem Hören untergeordnet.

Von dort aus kann es überall hingehen.

Wir können mehr Noten hinzufügen, wir können die Musik bewegen, verlangsamen, wir können den Spielpartner »stören« oder mit ihm harmonieren, wir können gleichzeitig führen und folgen.

Zu zweit ist diese Situation sehr beglückend, man lässt sich treiben und folgt der Musik, bis sie von selbst stehen bleibt – unsere Musik, unser Klang, unser Moment. Sie schafft Kommunikation, Gemeinsamkeit.

Und am Ende fühle ich mich voller Energie und gleichzeitig in mir ruhend.

Ich liebe diese Übung sehr.


Anwendungen der Freien Improvisation im Instrumentalunterricht

Prinzipiell gibt es für mich fünf Situationen, bei denen ich die freie Improvisation im Unterricht einsetze:

1. Um das Kind ankommen zu lassen. Sei es, weil es unsere erste Unterrichtsstunde ist, sei es, weil das Kind etwas zerstreut zu mir in den Unterricht kommt. Es ist eine einfache Weise, ohne viele Worte Kontakt aufzunehmen. Kinder verstehen diese Sprache sehr gut, denn sie bewegen sich noch stark in der Welt der Emotion, mehr als wir Erwachsene. So kann ich das Kind abholen, ohne viele Worte zu benutzen. Die Übung vermittelt: Du bist in Ordnung, so wie du bist.

2. Nach Übungen, die eine hohe Konzentration seitens des Schülers erfordert haben. Nach tiefen Konzentrationsphasen im Unterricht sage ich einfach: »So, jetzt alles raus, alles ist erlaubt, tobe dich aus. Lass uns blödeln.« Und dafür setzen wir uns gemeinsam ans Klavier, und los geht’s. Es ist ein Angebot für ein Ventil, die Gelegenheit, alles, was sich innen aufgestaut hatte, herauszubewegen. Danach ist erst mal Ruhe im Karton, der Fluss ist wiederhergestellt.

3. Um Lebendigkeit und Kreativität zu fördern. Musik machen bedeutet nicht, die Finger zu bewegen oder die richtigen Noten zur richtigen Zeit zu spielen. Musik machen, im Sinne von »Emotionen auszudrücken«, ist eine Fertigkeit, die alle Menschen in sich haben. Manche haben sie nur verlernt. Mit freier Improvisation ist es möglich, sich diese Kompetenz (wieder) anzutrainieren. Ideen, Farben, Texturen – Schüler können hier die Sprache der Musik erleben und erforschen, unabhängig davon, ob sie in der Lage sind, diese Musik als Notentext überhaupt zu lesen. Dies als Erfahrung zu vermitteln finde ich wichtig.

4. Um mich selbst und/oder den Schüler aus dem Nachmittagstief zu holen. Von der Bewegung kommt auch wieder die Wachheit. Und vom gemeinsamen Musizieren auch.

5. Für einen guten, runden Abschluss der Stunde. Improvisieren wir gemeinsam am Schluss einer Stunde, ist das ein Geschenk von uns an den anderen und an uns selbst. Einige gemeinsame Augenblicke teilen, Musik erleben, in Freude aus der Stunde gehen.



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