Mein Weg zur Nervensystem-Pädagogin
Wege von Menschen sind ja selten gradlinig. Als ich klein war, hätte ich mir nie gedacht, dass ich das werden würde, was ich heute bin. Denn nicht nur waren die Forschungen noch nicht soweit, auf die meine Arbeit aufbaut – meinen heutigen Beruf gab es damals nicht. Schlicht und ergreifend. Ich habe hier den Begriff Nervensystem-Pädagogin gewählt – ich bin natürlich viel mehr. Doch was das Nervensystem betrifft, so wird das immer mehr zu meinem Instrument: Ich bin Musikerin, Pädagogin, Forscherin und Autorin – und all das fließt in meinem Unterricht zusammen.
-
👉🏻 Juni 1992: Ich gebe meine erste Musikstunde. Als Flötenlehrerin der Nachbarstochter (ich war 11, sie acht oder neun Jahre alt) machte ich meine ersten Erfahrungen als Pädagogin. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich tat, konnte ich schon sehen, dass ich die Gabe hatte, anderen etwas beizubringen.
-
👉🏻 September 1994: Ich beginne meine Laufbahn als Lehrerin. Irgendwie ergab es sich, dass ich in der Schule ständig gefragt wurde: "Maria, kannst du mir das noch einmal erklären?" "Maria, wie ging das noch mal?" Anfragen von Mitschülerinnen aus der unteren Stufe nahm ich an und begann, auch Geld dafür zu nehmen. Das wurde irgendwann ein Selbstläufer. Ich lernte über die Jahre extrem Wertvolles über Lernprozesse, darüber, wie jemand etwas versteht, was es dazu braucht. Meine Schüler, später auch die Klavierschüler, zeigten mir, wie das Unterrichten geht. Später bekam ich auch Anregungen von meinen Kollegen.
-
👉🏻 Februar 1996: Ich beschließe, Konzertpianistin zu werden. Eine Mitschülerin spielte gerade die Fantasie-Impromptu von Chopin und ein Präludium und Fuge von Johann Sebastian Bach, D-Dur aus dem ersten Band des »Wohltemperierten Klaviers«. Im ungewöhnlichen Alter von 17 Jahren und mit wenig Vorkenntnissen hatte ich an diesem Tag die Eingebung: Ja, das möchte ich machen. Ich möchte genau das machen, was dieses Mädchen da gerade macht. Zu dem Zeitpunkt war die Musik des Films »Das Piano« in voller Mode und ich hatte mir ein paar der Stücke auch schon selbst beigebracht. Von Bach allerdings nur aus dem Klavierbüchlein für Anna Magdalena mit Müh und Not.
-
👉🏻 12. Juni 2004: Ich spiele meine letzte Klavierprüfung. Mein Klavierdiplom in Barcelona bestand aus zwei Prüfungen: Einmal ein Rezital zu ca. 50 Minuten und einmal ein Konzert für Klavier und Orchester (gespielt auf zwei Flügeln). Es war eine absolut krasse Zeit bis dahin, insbesondere das letzte Jahr. Die mentale und körperliche Vorbereitung, und vor allem der jahrelange Verzicht. Andererseits ging an dem Tag die Tür für mich auf: Ich konnte mich entspannen, denn ich war ab dann Diplom-Pianistin. Ich wollte nur dieses Diplom, alles andere interessierte mich nicht. Ich erschien zur Prüfung (die gerne am Vormittag stattfanden, so 9 oder 10 Uhr morgens) in Leinenhose und Spagettiträgern, ohne BH. Nach dem Vorspiel bedankte ich mich bei meinem Lehrer und denen, die mir zugehört hatten und stieg in den nächsten Zug zum Strand (ein Vorteil, wenn man in Barcelona studiert!) 😅
-
👉🏻 18. August 2006: Adéu Barcelona, Hallo Berlin! Die meisten, die ich kenne, vergessen ihren Berlin Geburtstag nie: den Tag, an dem sie in die Stadt gezogen sind. Ich hatte große Lust, in der Stadt ein Jahr lang zu wohnen und ein bisschen Musikerluft zu schnuppern, einfach als Pianistin zu arbeiten. Außerdem war damals wirklich eine tolle Zeit, um nach Berlin zu ziehen. Es gab viele Wohnmöglichkeiten, der Markt war noch nicht "gekippt". Ich schaffte es, mich zu etablieren und beschloss, in Berlin wohnen zu bleiben. Nach einem Jahr hatte ich viele Kontakte und vor allem viele Klavierschüler. Ich zog sogar in Erwägung, mir einen Flügel zu kaufen.
-
👉🏻 Januar 2008: Ich breche mir meinen rechten Arm. Der Horror für eine Musikerin: ein Armbruch, sogar mit Verschiebung. Nicht nur das, sondern es war auch an meinem Geburtstag gewesen. Daraus folgend wurde mir eine OP empfohlen, um den Knochen gut wieder zusammen zu fügen. Ich ging darauf ein, und fuhr für die Genesung drei Monate nach Barcelona. Dort hatte ich Zeit, zu überlegen, was ich nun machen würde. Eines hatte ich bereits beschlossen: Ich würde wieder spielen, und es würde besser sein als davor. Das wurde dann auch Realität. Diese Zeit ist eine meiner glücklichsten in meinem Leben und ich spreche heute noch davon, dass der Armbruch das beste war, was mir jemals als Musikerin passieren konnte.
-
👉🏻 Juli 2008: Gestatten, das Cembalo! Durch den Armbruch wurde ich wieder aufmerksam für das, was ich wirklich wollte: Wieder auf der Bühne stehen. Rock'n Roll nannte ich das. Ich bewarb mich für ein Stipendium für ein Meisterkurs Cembalo in Spanien und bekam das auch. Dort spielte ich zum ersten Mal auf einem Cembalo und eine komplett neue Welt eröffnete sich. Ich genoss den Klang des Instruments sehr, und was es von mir forderte: Gleichzeitig präzise zu sein, und auch noch sanft und weich zu bleiben. Eine super Mischung auch fürs Leben, wie ich finde.
Als Cembalistin darf ich gerne mal in traumhaften Locations spielen...
-
👉🏻 10. September 2010: Ich nehme meine erste Resonanzlehre-Stunde. Mittlerweile war ich wieder Studentin, diesmal Cembalo in der UdK, auch wenn ich mir Jahre davor versprochen hatte, es nicht wieder zu sein. Durch Kontakt mit einem befreundeten Cembalisten wurde mir die Resonanzlehre empfohlen und ich nahm die erste Stunde bei Thomas Lange. Dort ging mir die Welt neu auf – ich verstand sofort, dass ich diese Arbeit nicht nur für mich, sondern auch für andere lernen wollte. Denn Unterrichten ist eines der Freuden in meinem Leben.
-
👉🏻 Juni 2011: Die Resonanzlehre-Ausbildung beginnt. Aus dem ersten Kontakt entsteht sofort eine Begeisterung für die Arbeit und die Körperübungen der Resonanzlehre. Die Ausbildung beginnt nur wenige Monate danach. Es sind Jahre der Transformation; ich bekomme Werkzeuge, neue Herausforderungen als Musikerin anzugehen, räume mit allen Themen auf, die mich bis dahin noch begleitet hatten. Ich erlange parallel dazu, zusammen mit den neuen Erfahrungen als Cembalistin, eine ganzheitliche Kompetenz als Tastenspielerin. Erst später verstehe ich, warum die Arbeit der Resonanzlehre so durchschlagend wirkt.
-
👉🏻 Mai 2015: Ein persönlicher Schicksalsschlag. Bis heute wissen sehr wenige Menschen, was mir damals passiert ist. Ich bin noch nicht bereit, darüber zu schreiben, da es ein persönliches Thema ist, außer zu sagen, dass es die dunkelste Zeit in meinem Leben eröffnete. Nach außen hin veränderte sich nichts. Innerlich veränderte sich alles. Ich brauchte eine Weile, klar zu kommen, mit dem, was passiert war. Einige Monate lang konnte ich nur vor mich hin leben; ich konnte meiner Arbeit nachgehen und mehr eigentlich nicht. Schreiben trug mich durch diese Zeit, die Unterstützung meiner Freunde und Bewegung draußen im Freien.
-
👉🏻 August 2015: Mein erstes Celebrate Live Festival mit Thomas Hübl. Ab dem Moment änderte sich alles für mich. Ich erfuhr in diesen fünf Tagen eine große Tiefe in den Begegnungen auf dem Festival, und erlebte zum ersten Mal Heilung. Ich war wieder in mir angekommen – etwas, das ich in Monaten nicht geschafft hatte, egal wie viel ich schrieb oder meditierte. Ich verstand noch nicht, was es damit zu tun hatte, aber ich spürte die Wirkung dieser Arbeit auf mein Nervensystem und fühlte mich in Thomas Gruppe extremst gut aufgehoben.
-
👉🏻 November 2017: Ich beginne das Timeless Wisdom Training bei Thomas Hübl. Ich war über zwei Jahre mit der Arbeit von Thomas Hübl beschäftigt gewesen und in mir war ein starkes Commitment, diese weiter zu vertiefen. Das Timeless Wisdom Training ging über zwei Jahre und veränderte mein Leben grundlegend. Ich kam in Kontakt mit meiner Basis, konnte in mir vieles aufräumen und heilen. Dort lernte ich zum ersten Mal konkreter über das Nervensystem. Das TWT war stets praktisch orientiert, vor allem über Kommunikation und Reflexion im Kontakt. Auf einmal veränderten sich meine Unterrichtsstunden ganz von selbst. Während ich mich zuvor schon als virtuose Lehrerin bezeichnet hätte, bekamen meine Stunden eine neue Qualität. Das merkte ich in den Gesprächen und wie meine Klienten sich in meiner Anwesenheit ausdrückten.
Dieses Foto stammt zwar nicht aus dem Training, aber aus derselben Zeit, und so ähnliche Übungen haben wir damals auch gemacht. Foto: O. Sigloch für das FairBeeCamp 2019
-
👉🏻 Januar 2018: Ich lese das Buch »Sprache ohne Worte« von Peter A. Levine. Mit diesem Buch beginnt alles, sich zurechtzurücken. Alles bekommt für mich dank Peter Levines Ansichten eine neue Perspektive und vieles ergibt zum ersten Mal einen Sinn. Es ist die erste Begegnung dadurch auch mit der Polyvagal-Theorie von Stephen Porges. Ich beginne außerdem, die ersten Verknüpfungen zu machen zwischen meiner Arbeit als Resonanzlehrerin und was ich hier über das Nervensystem lerne. Warum meine Übemethode so gut funktioniert. Warum mein Lampenfiebertraining wirkt. Warum meine Klavierschüler bei mir so selten aufhören. Warum Unterrichten mir nach wie vor so viel Freude macht. Das gibt mir Bestätigung, denn es untermauert meine Sichtweisen und Ansätze mit Wissenschaft.
-
👉🏻 Februar 2018: Ich baue meine Kenntnisse zum Nervensystem zum ersten Mal in einem Workshop ein. Ich bin zu Gast beim DTKV in Marburg und nutze die Gelegenheit, gleich einige Kommunikationstechniken und Kenntnisse zum Nervensystem in Verbindung mit dem Musizieren und dem Unterrichten zu bringen. Der Workshop ist ein Erfolg und wirkt in den Teilnehmerinnen und Teilnehmern lange nach. Das gibt mir weitere Bestätigung.
-
👉🏻 Juni 2019: Erstes Flow-Seminar. Zu dem Zeitpunkt ist es ein dreieinhalb-tägiges Präsenzseminar. Innerhalb einer Woche ist das Seminar ausgebucht. Vor Ort wird es ein schönes und intensives Retreat. Ich beschließe, ein solches Retreat jedes Jahr zu veranstalten. Erst im Januar 2020 (im günstigsten Zeitpunkt vor Corona) beschließe ich, das reservierte Seminarhaus abzusagen und aus dem dreitägigen Seminar einen 8-wöchigen Onlinekurs zu machen.
-
👉🏻 Februar 2020: Im Online Flow-Seminar widme ich dem Nervensystem ein ganzes Modul. Mein erstes Online Flow-Seminar fällt mitten in die Corona-Zeit. Die Anmeldungen sind Ende Februar abgeschlossen, der Kurs geht bis Ende April. Ich beschließe, im Flow-Seminar ein gesamtes Modul dem Nervensystem zu widmen. Ich verstehe die zusammenhänge immer besser, je mehr ich sie erläutere. Mittlerweile ist dadurch der Musikerkörper für mich wie ein offenes Buch geworden, in dem ich lesen kann, wie andere Zeitung lesen. Seitdem ist jedes Flow-Seminar tiefer in die Materie gedrungen.
-
👉🏻 Oktober 2021: Retreat bei Dr. Joe Dispenza. Eine neue, praktische Erfahrung zum Nervensystem mache ich in einem Retreat bei Dr. Joe Dispenza. Wie bei allen Dingen schätze ich meine Fähigkeit am meisten, mir die Perlen rauszufischen und das, was mich nicht interessiert, auszublenden. So auch hier. Ich komme in neue, tiefe Zustände dank seiner Arbeit – vor allem das Thema der Herz-Gehirn-Kohärenz kristallisiert noch einmal vieles. Ich frage mich: Was würde passieren, wenn Musiker vor dem Spielen ihr Herz öffnen würden? Im Flow-Seminar 2021, einige Monate später, darf ich das mit meinen Klienten, dank ihrer Bereitschaft und Großzügigkeit, auch ausprobieren und erforschen.
-
👉🏻 Februar 2022: Ich beginne das Training in Somatic Experiencing. Der nächste logische Schritt auf meinem Weg ist es, die Arbeit von Peter Levine, Somatic Experiencing, für mich zu lernen und zu vertiefen. Prinzipiell arbeite ich seit 6-7 Jahren mit diesen Instrumenten – hier darf ich sie zum ersten Mal als Handwerk erlernen. Ich habe große Freude in den Praxisstunden und bekomme gute Rückmeldungen von den Trainerinnen.
👉🏻 Heute: Ich bin mitten auf der Reise und gleichzeitig schon angekommen. Das ist irgendwie schon ein schönes Gefühl. Einerseits schöpfe ich aus den vielen Jahren und den vielen Tätigkeiten und Erfahrungen, die mich hierher gebracht haben. Ich verknüpfe viele Themen in meiner Arbeit, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Ich freue mich, dadurch so viel weiter geben zu können. Andererseits sehe ich, wie weit die Reise geht und dass es immer etwas Neues zu lernen und zu entdecken gibt. Ich freue mich über diese Ausdehnung. Wie der Dichter Antonio Machado schrieb: »Caminante, no hay camino, se hace camino al andar.« (Es gibt keinen Weg, der Weg entsteht beim Gehen.)